„Ich sehe Seenotrettung als praktizierte Nächstenliebe“

Interview mit dem Seenotretter Jonas Buja 

An Bord der „Iuventa“ half Jonas Buja bei der Rettung von Flüchtlingen. Immer wieder sehen sich Seenotretter jedoch mit heftiger Kritik konfrontiert. Unterstützung bekommen sie nun von der evangelischen Kirche. Die hat laut Buja bei der Diskussion einen großen Vorteil. 

 

horizont E: Herr Buja, insgesamt fünfmal halfen Sie auf dem Schiff „Iuventa“ im Mittelmeer, Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Was hat Sie dazu bewogen, für die Organisation „Jugend rettet“ an Bord zu gehen? 
Buja: Ich wollte schon immer gerne humanitäre Hilfe leisten und hatte schon viel über die Seenotrettung gehört. Nach meinem Nautik-Studium hatte ich dann die Zeit und auch die Qualifikation, um mich in diesem Bereich zu engagieren.

 

horizont E: Welche Erfahrungen haben Sie an Bord gemacht? 
Buja: Zunächst einmal viele gute. Ganz unterschiedliche Menschen ziehen an Bord an einem Strang, die Arbeit im Team macht viel Spaß und man wächst über sich hinaus. Dazu kommen schöne Erlebnisse mit den Flüchtlingen – wie ein Gospelgesang als Dank. Aber es gab auch Rückschläge. Einmal habe ich stundenlang auf das dunkle Wasser gestarrt in der Hoffnung, ein Kind zu entdecken, das seiner Mutter aus dem Arm gerutscht war. In dieser Zeit wird man mit extrem vielen Eindrücken konfrontiert, es werden zwei, drei Tote geborgen und gleichzeitig müssen 100 Überlebende versorgt werden. In der Situation stumpft man dann etwas ab. 

 

horizont E: Haben Sie mit solchen Erfahrungen gerechnet oder waren Sie überrascht? 
Buja: Erstmal gab es für mich wenig Überraschendes. Als Nautiker hatte ich den Vorteil, bereits das Leben auf einem Schiff und das enge Zusammensein mit vielen Menschen zu kennen. Als jedoch der erste Alarm losging, ist mir das Herz in die Hose gerutscht und ich habe an das Kreuz gefasst, das um meinen Hals hing. Als es ernst wurde, fühlte es sich doch anders an als erwartet. Am Ende war es zwar ein Fehlalarm, ich hatte beim richtigen Einsatz dadurch aber etwas Routine. 

 

horizont E: Sie retten Leben, dennoch stößt die Arbeit der privaten Seenotretter immer wieder auf Widerstand. Die „Iuventa“ wurde im August 2017 in Italien beschlagnahmt, gegen mehrere Crewmitglieder wird ermittelt. Warum wird den Seenotrettern ihre Arbeit so schwer gemacht? 
Buja: Das Mittelmeer ist in der Flüchtlingskrise aus meiner Sicht nur die Spitze des Eisbergs, die Situation in Afrika und dem Nahen Osten der große untere Teil. Solange es auf dem Mittelmeer ruhig ist, kann man leicht die Augen vor dem Problem verschließen und weiter in einer vermeintlich friedlichen Welt leben. Viele Kritiker bewegen zudem Ängste, zum Beispiel vor einer Islamisierung und dem Verlust der eigenen Identität. 

 

horizont E: Was muss sich ändern? 
Buja: Was hilft, ist Aufklärung. Es muss mehr miteinander gesprochen werden. Schlechtes wird oft publik gemacht, Gutes hingegen kaum. Auch muss Integration anders organisiert werden. Die Menschen stecken auf dem Weg in ihr vermeintlich neues Leben lange fest, der Stress kann zur Kriminalität führen. Am Ende liegt die Lösung aber nicht im Mittelmeer oder in Deutschland, sondern schon in Afrika. Dort zu helfen, liegt einfach in der Verantwortung derer, die helfen können.

 

horizont E: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat kürzlich bekanntgegeben, dass sie sich an der Entsendung eines Rettungsschiffes beteiligen möchte. Was halten Sie von diesem Vorhaben? 
Buja: Schon als die Idee auf dem Kirchentag geboren wurde, habe ich mich sehr gefreut. Ich sehe Seenotrettung als praktizierte Nächstenliebe und damit als wesentlichen Teil des christlichen Glaubens. Die Kirche hat sich aber schon vorher in diesem Bereich eingesetzt und zum Beispiel die Seelsorge finanziert. Auch ich habe von meiner Gemeinde und Detlef Klahr (Anm. d. Red.: Landessuperintendent des Sprengels Ostfriesland-Ems) große Unterstützung erfahren. 

 

horizont E: Momentan bekommt jedoch auch die evangelische Kirche auf verschiedenen Kanälen heftige Kritik für die geplante Beteiligung. Wie gehen Sie selbst mit Anfeindungen um, was können Sie anderen Engagierten raten? 
Buja: Ich persönlich wurde wenig angefeindet. Mitstreiter, deren Kontaktdaten öffentlich waren, erreichten jedoch regelmäßig Beleidigungen und Drohungen. Über Kommentare zu entsprechenden Online-Artikeln konnte ich anfangs noch lachen, wurde beim Weiterlesen aber immer trauriger und auch wütend. Wichtig ist jedoch, weiterzumachen. Ich setze auf Aufklärung, versuche ins Gespräch zu kommen und Ängste zu nehmen. Und ich höre eher auf, online Kommentare zu lesen. Engagierten kann ich raten, die Kraft zum Weitermachen aus den kleinen Freuden zu ziehen, wie dem „Danke“ der Person, der sie geholfen haben. Diese Stimme zählt mehr als der erhobene Finger aus der Ferne. 

 

horizont E: Kann das aktive Engagement der Kirche den Blick der Kritiker auf die Seenotrettung im Mittelmeer ändern? 
Buja: Die Kirche ist eine große öffentliche Kraft, ein Fels in der Brandung. Ihr gehören mehr Menschen an, als einzelnen Parteien. Sie ist unüberhörbar. Da haben Kritiker es schwer, dagegenzuhalten. Menschen, die Seenotrettung sehr kritisch sehen, wird zwar auch die Kirche nicht umstimmen können. Interessant sind aber diejenigen, die das Thema nicht nur schwarz-weiß sehen. Sie haben nun jemanden, auf den sie sich berufen können, der den Rücken stärkt. Auch hat die Kirche den Vorteil, dass sie sich mancher Kritik gar nicht erst zu stellen braucht. So heißt es immer wieder, man solle doch zuerst den Menschen vor Ort helfen, den Obdachlosen zum Beispiel. Das macht die Kirche bereits. 

 

horizont E: Welchen Stellenwert hat kirchliche Arbeit für Sie nach Ihrer Zeit auf der „Iuventa“? 
Buja: Schon seit 2012 bin ich im Kirchenvorstand. Durch meinen Beruf bin ich aber viel unterwegs und kann leider nicht mit der Konstanz präsent sein, wie ich gerne würde. Meinen Vorstandskollegen bin ich dankbar, dass sie in dieser Zeit vieles auffangen. Es ist ein schönes Miteinander und ich arbeite gerne an Projekten der Gemeinde mit. Mit an Bord habe ich auch jetzt die Bibel, digital als App. Nach meinem ersten Einsatz als Seenotretter saß ich am Sonntag in der Kirche und habe die Lesung zum Barmherzigen Samariter gehört – bestimmt zum 100. Mal. Doch da hatte ich erstmals das Gefühl, sie richtig verstanden zu haben. Meinen Einsatz als Seenotretter sehe ich als gutes Fundament.
 
horizont E: Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen könnten, was würden Sie dann gerne sehen? 
Buja: Menschen, die in Afrika und im Nahen Osten bleiben, weil sie es wollen und nicht, weil sie müssen. Niemand muss mehr aus Angst vor Hunger und Tod fliehen. 

 

Das Gespräch führte Franziska Bothe. 

 

Zur Person

Jonas Buja war fünfmal für die Organisation „Jugend rettet“ mit dem Schiff „Iuventa“ im Mittelmeer im Einsatz. Zunächst war er als 1. Offizier eingesetzt, dann als Kapitän. Seit 2012 ist der Brinkumer im Kirchenvorstand der evangelischlutherischen Kirchengemeinde Holtland im Landkreis Leer in Ostfriesland. Aktuell arbeitet der 27-Jährige als 2. Offizier auf einem Gastanker. Foto: Michael Micklas

Pressestelle

Kann die Pressestelle etwas für Sie tun? Hier finden Sie den Kontakt zu uns.