Fr, 12.10.2012Diskussion zu Gewaltbereitschaft und Medienwirkung der Salafisten

Fachleute warnen vor Zerrbildern

Diskutierten im gut besuchten Lambertussaal über Salafismus (von li. nach re.): Pfr. Olaf Grobleben, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen, Pfr. i.R. Michael Munzel, Islambeauftragter, Dr. Wolfgang Reinbold, Beauftragter für Kirche und Islam der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers, und Pfarrerin Brigitte Gläser von der Evangelischen Akademie der oldenburgischen Kirche. Fotos: ELKiO/Anke Brockmeyer

„Radikale sind dabei, das Internet zu kapern. Das ist mittlerweile ein großer Misthaufen“, so Dr. Wolfgang Reinbold, EKD-Beauftragter für Kirche und Islam.

Wutentbrannte Massen, die durch die Straßen ziehen, bärtige Muslime, die ihre Fäuste kämpferisch gen Himmel recken – Bilder wie diese rütteln die westliche Welt auf. Aber geben sie auch ein realistisches Bild der islamischen Bevölkerung wider? „Wir gehen den Radikalen auf den Leim, wenn wir denken, alle, die nicht radikal sind, seien ja keine 'echten' Muslime“, warnt Prof. Dr. Wolfgang Reinbold von der Theologischen Fakultät Göttingen, Beauftragter für Kirche und Islam der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Er war am Donnerstag, 11. Oktober, in der Oldenburger Lambertikirche zu Gast und diskutierte zum Thema „Salafismus – eine Randerscheinung im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit“ mit Pfarrer i.R. Michael Munzel, Islambeauftragter, und Pfarrer Olaf Grobleben, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen, beide von der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg.
Initiiert hatte Munzel den Gedankenaustausch gemeinsam mit Pfarrerin Brigitte Gläser von der Evangelischen Akademie der oldenburgischen Kirche. Sie wollten mit dieser Veranstaltung „für mehr Information, Austausch und Aufklärung sorgen“, wie Gläser in ihrer Begrüßung betonte. „Durch unsere oft allzu eurozentrische Weltbetrachtung nutzen wir den und das Andere als Projektionsfläche. Das geschieht dann, wenn wir über DEN Islam sprechen, anstatt die Mehrstimmigkeit des Islam wahrzunehmen.“ Das unterstrich auch Reinbold, der von Integrationsfallen sprach, dem im Volksmund sogenannten Schubladendenken. „Diese Identitätsfallen müssen wir meiden. Man meint, etwas über einen Menschen zu wissen, weil er Muslim ist. Doch es gibt DEN Muslim genauso wenig wie DEN Christen“, sagte er. Umfragen zufolge, so Reinbold weiter, denken fast 100 Prozent der Befragten in Deutschland beim Stichwort Islam an Intoleranz, mehr als 60 Prozent an Gewaltbereitschaft und nur fünf Prozent an Menschenrechte. „Genau damit tappen wir in die Identitätsfalle.“

Dennoch wollte Reinbold das Problem nicht verharmlosen. Nach Schätzungen des Verfassungsschutzes leben 4.000 bis 5.000 Salafisten in Deutschland, knapp 300 in Niedersachsen. „Nach meinem Eindruck gibt es aber weitaus mehr Sympathisanten“, so der Beauftragter für Kirche und Islam. Zwar seien nur wenige Muslime gewaltbereit, dennoch sei es wichtig, gerade sie ins Visier zu nehmen. „Der Innenminister hat recht, wenn er sagt, dass die Gewaltbereitschaft aus den Reihen der Salafisten kommt“, betonte Reinbold. Auch die nahezu ungehinderte Verbreitung extremistischen Gedankengutes über das Internet sehe er als großes Problem. „Radikale sind dabei, das Internet zu kapern. Das ist mittlerweile inhaltlich ein großer Misthaufen. Wir müssen dieser Bewegung etwas entgegensetzen.“ Das, so führte er aus, sei wegen der Meinungsfreiheit sehr schwierig. „Medientechnisch funktioniert mittlerweile eine ganz eigene Welt“, bestätigte auch Michael Munzel.

Nicht nur auf Deutschland bezogen, sondern globaler wollte dieses Problem einer der Zuhörer betrachtet wissen: Immerhin hätten bei den Wahlen in Ägypten die Salafisten 25 Prozent der Stimmen bekommen, benannte er als Beispiel für die möglicherweise wachsende Gefahr der Radikalisierung. Gerade bei den jungen Menschen, führte Reinbold aus, wecke der Salafismus eine große Faszination. „Sie geben eine klare Orientierung über Schwarz und Weiß, Gut und Böse. Und sie bieten einen Zusammenhalt in der Gruppe.“ Gerade jene Jugendlichen, die sich nirgends dazugehörig  fühlen, seien für die Radikalisierung empfänglich. „Wenn wir wollen, dass die jungen Menschen nicht abgleiten, müssen wir sie mitnehmen“, machte in diesem Zusammenhang eine Zuhörerin deutlich. „Wir dürfen nicht zulassen, dass junge Muslime in Deutschland immer noch die Bildungsverlierer des Landes sind.“

Welches Gedankengut hinter dem Salafismus steht, stellte Reinhold am Beispiel einiger Zitate dar: Nicht nur Christinnen und Christen sowie Jüdinnen und Juden sind demnach für die Salafisten Ungläubige, die entweder zu bekehren oder zu töten sind, sondern auch Muslime, die Andersgläubige tolerieren. Der Dialog mit anderen Religionen werde ganz klar abgelehnt, weil er nur als Strategie des Westens gesehen wird, Muslime von ihrem Glauben abzubringen.

Das Bild, das im Westen über die Menge der gewaltbereiten Muslime ankommt, wollte Olaf Grobleben dennoch zurechtgerückt wissen. „In Ägypten leben 80 Millionen Muslime, protestiert haben 2.500. Im Iran haben 5.000 der 74 Millionen Muslime protestiert. Aus Indien, aus der Türkei sind gar keine Proteste bekannt“, betonte er. Und: „In den letzten Jahren sind in Deutschland mehr als 250 Menschen Opfer rechtsradikaler Gewalt geworden, zwei wurden Opfer radikaler Muslime. Natürlich sind auch diese zwei zu viele, aber wir müssen aufpassen. Die Medien liefern uns ein Zerrbild. Aber wenn Menschen aufeinander treffen, die nur ein Zerrbild voneinander haben, kann es keinen Dialog geben.“

Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.

Weitere Informationen finden Sie online unter:
www.kirchliche-dienste.de/themen/37/196/0/0/0.htm sowie unter: www.bmi.bund.de/DE/Themen/Sicherheit/Extremismus/Salafismus/salafismus_node.html
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