Mo, 25.10.2010Wolffsohn bezweifelt Bild von christlich-jüdischer Wertegemeinschaft

Hildesheim (epd). Der jüdische Historiker Michael Wolffsohn hat sich skeptisch zum oft beschworenen Bild von der jüdisch-christlichen Wertegemeinschaft geäußert. Diese sei in Wirklichkeit eine «2.000-jährige Geschichte der Rivalität» und ein «Spannungsverhältnis von Anfang an» gewesen, sagte er am Sonnabend bei einem Kongress der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hildesheim zur Rolle der Kirchen in Europa. So quelle etwa das Werk des französischen Aufklärungsphilosophen Voltaire vor Antisemitismus geradezu über.

Auch das Verhältnis des Christentums zum Islam sei über die Jahrhunderte von einer permanenten Konfrontation geprägt. Als Beispiel nannte der Geschichtsprofessor die Vertreibung der Muslime aus Spanien im Mittelalter und die Angriffe der Türken auf Wien. Wolffsohn lehrt Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Der Hildesheimer katholische Bischof Norbert Trelle hatte bei dem zweitägigen Kongress zuvor mehr Offenheit gegenüber dem Islam gefordert. «Die Präsenz von Muslimen in unserem Land ist nicht der Untergang des Abendlandes, sondern stellt eine Möglichkeit der Bereicherung dar», sagte er vor etwa 250 Politikern, Wissenschaftlern und Kirchenvertretern: «Der Ramadan gefährdet nicht die christliche Feier des Abendmahles.» Das tue nicht der Islam, sondern der verkaufsoffene Sonntag. Trelle plädierte für «offene kulturelle Räume». Christen, Juden und Muslime müssten dafür Sorge tragen, «dass verschlossene Türen immer wieder aufgeschlossen werden».

Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio sprach in Hildesheim von einer «kulturellen Identitätskrise» in Deutschland. «Viele Menschen glauben nicht mehr an den Automatismus des Fortschritts und die universelle Strahlkraft westlicher Werte.» Dafür spreche die Debatte um das Sarrazin-Buch ebenso wie die Auseinandersetzungen um das Projekt «Stuttgart 21». Viele Menschen hätten Parteien, Gewerkschaften, Vereinen, Kirchen und auch der Familie den Rücken gekehrt. Wer aber das Miteinander von Freiheit und Bindung, Vernunft und Glauben nicht mehr kenne, bekomme «Angst vor dem Anderen».

Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung wollte mit dem Kongress über Kirchen in Europa einen Beitrag zum 1.000-jährigen Bestehen der Hildesheimer evangelischen St. Michaeliskirche leisten, das in diesem Jahr groß gefeiert wird. Die im Jahr 1010 von Bischof Bernward von Hildesheim (etwa 960-1022) gegründete romanische Kirche gehört seit 1985 zum Weltkulturerbe.

Auch der Hildesheimer evangelische Regionalbischof Eckhard Gorka rief die Kirchen auf, sich kulturell zu öffnen: «Kirchen können Räume der Begegnung nicht nur einer Kultur sein, sie halten es aus, gegenwärtige und gegenläufige Erfahrungen zu reflektieren.»

Der frühere Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering, bezeichnete das Christentum als Grundlage der europäischen Kultur. Das gelte auch, wenn in der säkularen Welt neue identitätsstiftende Kulturen hinzugekommen seien, sagte er als Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Pressestelle

Kann die Pressestelle etwas für Sie tun? Hier finden Sie den Kontakt zu uns.