Mi, 10.04.2013Wenn Kinder der Schlag trifft

Es kam ohne jede Vorwarnung: Im Oktober vergangenen Jahres erlitt der neunjährige Justin einen Schlaganfall. Heute geht es ihm deutlich besser. Ein Erfolg, an dem auch Deutschlands einziger «Schlaganfall-Kinderlotse» Marco Vollers mitgewirkt hat.

Bremen/Stadthagen (epd). Langsam greift Justin nach dem nächsten Haltegriff in der senkrechten Kletterwand. Dann zieht sich der Neunjährige hoch, ein Fuß tastet kurz, hat dann aber schnell den nächsten Vorsprung gefunden. Die Kletterwand im Neurologischen Rehabilitationszentrum der Bremer Stiftung Friedehorst geht bis kurz unter die Hallendecke - eine echte Herausforderung für Schlaganfallpatienten wie Justin. Wochenlang hat der Junge schon trainiert, mittlerweile schafft er die Strecke mühelos.

Oben angekommen drückt Justin auf ein Quietschetier und gibt Physiotherapeut Heiko Michelsen so das akustische Zeichen zum Abseilen. «Toll gemacht», lobt Michelsen. Was der Junge scheinbar selbstverständlich meistert, ist ein kleines Wunder, denn im Oktober vergangenen Jahres schien sein bisheriges Leben plötzlich vorbei zu sein, als er ohne Vorzeichen einen Schlaganfall erlitt. Im Alltag gebe es dann viele Probleme und Unsicherheiten, sagt Deutschlands einziger «Schlaganfall-Kinderlotse» Marco Vollers (45), der in der Stiftung Friedehorst arbeitet.

«Ich habe ein offenes Ohr, auch für die seelischen Belastungen, und überlege gemeinsam mit den Betroffenen, was der nächste Schritt sein kann», erläutert der Experte. Dabei leistet er oft Aufklärungsarbeit, auch bei Ärzten. «Es gibt eine große Unsicherheit, die schon bei der richtigen Diagnose beginnt», sagt der Therapeut, dessen zunächst befristete Stelle als Modellprojekt von der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe in Gütersloh finanziert wird.

Bei Justin aus Auetal bei Stadthagen im Schaumburger Land begann alles mit starken und pochenden Kopfschmerzen. Oma und Pflegemutter Karin Gundlach schickte ihn dennoch zur Schule, musste ihn aber bald wieder abholen. Abends ging es ihm zwar erst besser, beim Einkaufen im Supermarkt torkelte Justin aber plötzlich, zog das linke Bein nach, verdrehte dann die Augen und sackte zusammen.

In der Klinik vermutete eine Ärztin zunächst einen Migräneanfall.
Eine genauere Untersuchung unter anderem mit einer Computertomografie brachte dann aber Gewissheit: Es war tatsächlich ein Schlaganfall.
Eine Krankheit, die meist ausschließlich älteren Menschen zugeschrieben wird. Dabei trifft sie nach Angaben der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe jährlich auch etwa 300 Kinder und Jugendliche - mit einer hohen Dunkelziffer. Ein Drittel von ihnen sind Neugeborene.

«Justins Hand, Arm und Bein auf der linken Seite waren gelähmt, er sprach nuschelig-stockend, aber noch verständlich», erinnert sich Karin Gundlach. «Die Ärzte konnten die Diagnose selbst kaum glauben, und ich war geschockt.» Schnell kam Justin zu einer speziellen Reha nach Bremen. Ein wichtiger Schritt, weiß Kinderlotse Vollers, der auch den Neunjährigen und seine Pflegemutter begleitet: «Je früher die Diagnose und umfassende Förderung, desto besser. Das kindliche Gehirn kann besser und schneller umschalten.»

Der Lotse macht seine Beratungsarbeit überwiegend telefonisch und per Mail, denn ihn erreichen Anfragen aus ganz Deutschland, teilweise sogar aus dem Ausland. «Oft geht es um praktische Tipps, was zum Beispiel Reittherapie bringt, wo es ein geeignetes Fahrrad gibt, ob ein betroffenes Kind ein Instrument lernen kann oder wo es in der Nähe einen erfahrenen Therapeuten gibt.»

Der Bremer informiert und unterstützt nicht nur Eltern wie Karin Gundlach, er spricht auch mit Ärzten, Kitas, Lehrern, Logopäden und Reha-Einrichtungen. «Er hat mir vieles erklärt und die Angst genommen», berichtet Gundlach. Äußerlich sei Justin wieder fit. «Aber er arbeitet langsamer, kann sich über längere Zeit nicht mehr so gut konzentrieren und wirkt oft ungeduldig und erregbar.»

Auch in Zukunft soll der Lotse die Familie bei der Rückkehr des Jungen ins normale Leben beraten. Pflegemutter Gundlach hofft, dass Justins Selbstbewusstsein dafür entsprechend gestärkt werden kann.
«Durch den Schlaganfall hat sich sein Leben von einer Sekunde auf die andere verändert. Jetzt müssen wir alle lernen, damit umzugehen.»

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