Di, 20.11.2012Streikrecht oder Dienstgemeinschaft - Nirgendwo wird so hart ums kirchliche Arbeitsrecht gerungen wie in Niedersachsen

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat über das Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen entschieden. Dabei geht der Konflikt zwischen Gewerkschaften und Kirchen tiefer: Er betrifft das kirchliche Arbeitsrecht im Ganzen.

Hannover (epd). Nirgends wird der Streit um das kirchliche Arbeitsrecht mit härteren Bandagen geführt als in Niedersachsen. Festgemacht an der Frage des Streikrechts in der Kirche und ihren Einrichtungen kämpft die Gewerkschaft ver.di für ein Ende des kirchlichen Sonderweges.

Nach dem kirchlichen Arbeitsrecht einigen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber in arbeitsrechtlichen Kommissionen einvernehmlich auf Löhne und Arbeitsbedingungen. Im Zweifelsfall entscheidet ein Schlichter. Die Gewerkschaften pochen dagegen auf das Streikrecht und Tarifverhandlungen zwischen Funktionären und kirchlichen Arbeitgebern. Ohne diese Bedingungen seien keine Verhandlungen auf Augenhöhe möglich, betonen die Gewerkschaftsspitzen.

Um den Druck zu erhöhen, organisierte ver.di in den vergangenen zwei Jahren wiederholt Warnstreiks in Oldenburg, Hannover, Bückeburg, Gifhorn und Bremen. Außerdem rief die Gewerkschaft ihre Mitglieder auf, die Verhandlungen in der arbeitsrechtlichen Kommission zu boykottieren. Seit dem Frühjahr 2011 ruhen die Gehaltsverhandlungen.

Besonders in den Pflegeeinrichtungen bröckelt das kirchliche Arbeitsrecht. Diakonie und Caritas zahlen zwischen zehn und 30 Prozent mehr als die übrigen Wohlfahrtsverbände und die weitgehend tariffreien privaten Träger. Weil die Kassen dafür zu wenig zahlen, können viele kirchliche Einrichtungen aber die ausgehandelten Gehälter nicht mehr finanzieren.

Über Notlagenregelungen werden die Einkommen der Mitarbeiter deshalb vielfach abgesenkt, um wirtschaftliche Krisen zu überwinden. Doch was als Ausnahmefall gedacht war, ist in zahlreichen Einrichtungen der Normalfall geworden. Die Geschäftsführer suchen nach Auswegen.

Als erste Einrichtung brach vor einem Jahr das Evangelische Krankenhaus in Oldenburg mit dem kirchlichen Arbeitsrecht. Weil Ärzte mit Kündigungen drohten und ver.di Warnstreiks organisierte, handelte Krankenhauschef Thomas Kempe mit ver.di und der Ärztegewerkschaft Marburger Bund einen Haustarif aus. Ver.di-Sekretärin Annette Klausing jubelte über den «Dammbruch, auf den wir gewartet haben». Das Haus durfte seinen Namen behalten, hat aber in der Diakonie nur noch einen Gaststatus.

Vor einem Monat verabschiedete sich eine der größten niedersächsischen Einrichtungen in der Behindertenhilfe vom kirchlichen Arbeitsrecht: Die Diakonie Himmelsthür in Hildesheim vereinbarte mit ver.di für ihre rund 2.000 Mitarbeitenden einen Tarifvertrag. Wegen wirtschaftlicher Probleme seien die Gehälter in den vergangenen zehn Jahren niedriger als üblich gewesen, sagt eine Sprecherin. Nun sei ein ordentlicher Tarifabschluss möglich, und die Gehälter könnten wieder steigen.

Doch nach dem Schritt droht Himmelsthür nun der Rausschmiss aus der Diakonie. Der Abschluss sei ein Angriff auf das kirchliche Arbeitsrecht, wetterte der Vorsitzende des Diakonischen Dienstgeberverbandes Niedersachsen (DDN), Hans-Peter Hoppe.

Schon im Januar zog die umstrittene Diakonische Altenhilfe Lilienthal bei Bremen die Notbremse, um einem Rauswurf zuvorzukommen:
Geschäftsführer Hans Mencke kündigte an, die Einrichtung werde die Diakonie verlassen. Seit Jahren wurde hier ein Großteil der 450 Beschäftigten als Leiharbeiter unterhalb der kirchlichen Tarife entlohnt. Zur Begründung sagte Mencke, die hohen Gehälter der Diakonie seien nicht mehr bezahlbar.

Doch die Diakonie zeigt sich auch kompromissbereit: Wenn ver.di mitspiele, könnte das kirchliche Arbeitsrecht für die Sozialwirtschaft allgemeinverbindlich werden, sagt der stellvertretende Direktor der hannoverschen Diakonie, Jörg Antoine.
Das entspräche einem Flächentarifvertrag, der für alle gültig wäre.
Doch dagegen verwehrt sich die Gewerkschaft.


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