Mo, 12.11.2012Richter: Bauchgurte und Bettgitter in der Altenpflege verzichtbar

Lingen/Garmisch-Partenkirchen (epd). Der bayerische Richter und Betreuungsexperte Sebastian Kirsch hält Bauchgurte und Bettgitter in der Altenpflege für weitgehend verzichtbar. Richter, Pflegekräfte, Angehörige und speziell fortgebildete Verfahrenspfleger könnten in gemeinsamen Beratungen in den allermeisten Fällen Alternativen finden, sagte der Initiator des sogenannten «Werdenfelser Weges» am Montag im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nach dieser Methode lasse sich die Zahl der Fixierungen um mehr als 90 Prozent reduzieren.

In seinem Gerichtsbezirk seien freiheitsberaubende Maßnahmen nur noch in ganz wenigen Fällen unausweichlich, erläuterte der Richter am Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen am Rande einer Tagung im emsländischen Lingen. Seit 2007 arbeite der Landkreis nach dem «Werdenfelser Weg». Seit 2010 verbreite sich das Modell bundesweit.
Mehr als 70 Städte und Kreise hätten es bereits übernommen. «Die Richterkollegen hatten seit Jahren ein ungutes Gefühl. Aber Sicherheitsaspekte und Haftungsängste standen letztlich im Vordergrund.»

Bettgitter und Gurte führten zu seelischen und körperlichen Qualen, betonte Kirsch. Die geistige und körperliche Fitness der alten Menschen nehme ab. Die Gefahr, körperlichen Schaden zu nehmen, sei nach wissenschaftlichen Untersuchungen sogar größer als durch einen Sturz.

Der Werdenfelser Weg beruhe darauf, zunächst bei allen Beteiligten die Grundeinstellung zu verändern, betonte Kirsch: «Die muss lauten: Wir wollen weniger Fixierungen.» Die Schlüsselrolle spiele der in der Pflege speziell geschulte Verfahrenspfleger. Er suche im Auftrag des Gerichts gemeinsam mit Angehörigen und Pflegeeinrichtungen nach Alternativen. Das können etwa eine andere Zusammensetzung der Medikamente sein oder eine gezielte Förderung der Mobilität. «Dann ist der Patient nicht mehr so verwirrt und wieder sicherer auf den Beinen. Die Pfleger können darauf verzichten, das Bettgitter hochzuziehen.»

Bei Pflegekräften und Einrichtungen habe sich in den vergangenen Jahren die Angst festgesetzt, sie müssten haften, wenn ein Patient stürzt. Der Verfahrenspfleger mache ihnen deutlich, dass diese Angst unbegründet ist. Mittlerweile gelte in der Haftungsrechtsprechung der Grundsatz, dass Stürze nicht um jeden Preis zu vermeiden seien, sagte der Richter: «Das Risiko zu stürzen gehört auch in einem Pflegeheim zum Lebensrisiko.»

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