Mo, 30.09.2013Niedersachsen und Muslime verhandeln über Staatsvertrag

Politiker und Verbände sehen wichtiges gesellschaftliches Signal 
Die Landesregierung in Hannover und die islamischen Verbände haben sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Für die rund 450.000 Muslime im Land wollen sie in den nächsten Monaten einen Staatsvertrag entwickeln, der viele Alltagsfragen regelt.

Hannover/Osnabrück (epd). Als erstes deutsches Flächenland hat Niedersachsen am Montag die Verhandlungen mit drei muslimischen Verbänden über den Abschluss eines Staatsvertrages aufgenommen. «Ich wünsche mir, dass überzeugte Muslime gleichzeitig überzeugte Niedersachsen sind», sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Montag bei einer Feierstunde in Hannover. Mit Verbandsvertretern unterzeichnete er eine entsprechende Absichtserklärung. Staatsverträge mit Muslimen gibt es seit kurzem bisher nur in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen.

Der Vertrag soll die Rechte und Pflichten der muslimischen Gemeinden regeln. Dabei geht es etwa um die islamische Bestattung, den Religionsunterricht an Schulen, theologische Studiengänge an Hochschulen, die religiöse Begleitung in Krankenhäusern, das Recht, Moscheen zu bauen und zu betreiben, oder die Frage, ob sich muslimische Arbeitnehmer und Schüler an bestimmten islamischen Feiertagen freistellen lassen dürfen. Strittig könne die Frage des Kopftuchs für muslimische Lehrerinnen werden, sagte Weil. Bislang dürfen Lehrerinnen ein Kopftuch nur im islamischen Religionsunterricht tragen.

Weil warnte vor Parallelgesellschaften in Deutschland. Ein Staatsvertrag könne dazu beitragen, dem islamischen Extremismus den Boden zu entziehen: «Der Islamismus wird weniger Chancen haben.» Junge Muslime drifteten auch deshalb in extreme Positionen ab, weil sie sich in Deutschland nicht anerkannt fühlten. Unter der Vorgänger-Landesregierung hatten verdachtsunabhängige Kontrollen vor Moscheen für heftige Proteste und Diskussionen gesorgt. Dies gehöre für ihn der Vergangenheit an, bekräftigte Weil.

Für den Landesverband der türkischstämmigen Muslime (Ditib), sagte der Landesvorsitzende Yilmaz Kilic, die Vertragsverhandlungen untermauerten den Satz des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland: «Wir dürfen nicht zulassen, dass eine Trennmauer zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen gezogen wird.»

Avni Altiner vom Landesverband der nichttürkischen Muslime (Schura) betonte, der geplante Vertrag sei ein Signal an die Muslime, ihre Zukunft auch weiter in Deutschland zu gestalten. Nach der NSU-Mordserie seien viele Muslime sehr verunsichert gewesen. Für die Alevitische Gemeinde Deutschlands sagte Hüseyin Mat, sein Verband sei inzwischen zu einer festen Institution in der Gesellschaft geworden.

Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) sagte, die Vertragsverhandlungen hätten eine Vorbildfunktion für andere Bundesländer. Der Erlanger Jura-Professor und Sachverständige für Islam-Fragen, Matthias Rohe, sieht in dem Staatsvertrag die große Chance, dass sich ein europäischer Islam mit freien religiösen Debatten entwickeln könne.

In Niedersachsen bekennen sich rund 450.000 Menschen zum Islam. Landesweit bestehen rund 200 Moscheegemeinden. Der Osnabrücker Islamwissenschaftler Rauf Ceylan begrüßte auf epd-Anfrage die Verhandlungen. Das sei ein wichtiger «Zwischenschritt im Prozess um volle Anerkennung und Gleichberechtigung des Islam».



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