Do, 30.09.2010Im Gericht ein rotes Telefon - Burkhard Guntau half beim Neuaufbau der Justiz in den neuen Bundesländern mit

Hannover (epd). Als Burkhard Guntau 1993 als Richter ans Oberverwaltungsgericht in Magdeburg wechselte, kam ihm zunächst manches merkwürdig vor. «Es waren keine Namenschilder an der Tür, und es gab überall ein rotes Telefon.» Mit dem Apparat konnten sich zu DDR-Zeiten die Richter bei politisch bedeutsamen Streitfällen unmittelbar mit den staatlichen Stellen verbinden lassen - bis ins SED-Politbüro.

Doch mit dem Einigungsvertrag vor 20 Jahren brachen neue Zeiten an. Und Guntau gehörte zu den mehreren Tausend westdeutschen Juristen, die mithalfen, das ostdeutsche Rechtssystem zu erneuern. Später arbeitete er als Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf gesamtdeutscher Ebene, heute ist er Präsident des Landeskirchenamtes in Hannover.

Die Jahre in Ostdeutschland sieht der 62-Jährige als unverzichtbare Erfahrung an: «Es hat mir in Gesprächen viele Türen geöffnet, dass ich mich in die Welt der Menschen in den neuen Bundesländern hineinversetzen konnte.»

1990 fragte der Präsident des Magdeburger Bezirksgerichts beim niedersächsischen Justizministerium in Hannover an, ob Juristen von dort beim Aufbau des Rechtssystems im neuen Land Sachsen-Anhalt helfen könnten. Guntau, bis dahin Leitender Ministerialrat, sah darin eine spannende Aufgabe.

Fortan pendelte er fünfmal pro Woche zwischen beiden Städten, täglich drei Stunden über Akten brütend im Zug und sieben Stunden im Gericht. Er wurde Vizepräsident am Oberverwaltungsgericht und später auch am Landesverfassungsgericht in Dessau. Zu einem Umzug nach Magdeburg konnte er sich nicht durchringen, denn die Familie war in Hannover verwurzelt.

Die Rechtssysteme in West und Ost waren grundverschieden: Die DDR kannte keine Gewaltenteilung und keine Verwaltungsgerichte, bei denen die Bürger ihre Rechte gegenüber dem Staat einklagen konnten.
«Juristen hatten die Aufgabe, Speerspitze der SED zu sein.»

War die DDR ein Unrechtsstaat? Burkhard Guntau verweist in dieser umstrittenen Frage auf die fehlende Meinungs- und Reisefreiheit und politische Prozesse im SED-Staat: «Man kann die DDR durchaus als Unrechtsstaat bezeichnen.»

Nur etwa 500 Rechtsanwälte gab es in der ganzen DDR, rund 50.000 dagegen im Westen. In den Schubladen des Gerichts gab es vorformulierte Urteile, die nur noch auf Einzelfälle umgeschrieben werden mussten, erzählt Guntau: «Es stand alles vorher fest, wie es laufen sollte.»

Dieses System musste nun auf bundesrepublikanisches Recht umgestellt werden. Westdeutsche übernahmen die Federführung, während zahlreiche frühere DDR-Richter aus dem Staatsdienst ausschieden. Die verbliebenen wurden fortgebildet. Besonders spannend fand Guntau die Zusammenarbeit mit ehrenamtlichen Richtern, die in Prozessen als Beisitzer fungierten: eine Ärztin, eine Gewerkschafterin, ein Oberlandeskirchenrat. «Weil sie aus ihrem persönlichen Leben erzählten, wie sie mit den Umbrüchen fertig geworden sind.»

Das Landesverfassungsgericht bewirkte viele politische Umbrüche durch eine Reihe von Urteilen, an denen Guntau mitarbeitete, etwa zur kommunalen Selbstverwaltung und zum Status der Opposition im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die rot-grüne Minderheitenregierung von Ministerpräsident Reinhard Höppner, geduldet von der damaligen PDS, führte 1994 zur Frage, ob die PDS nicht heimlich mitregierte. Guntau und seine Kollegen haben diese Frage damals verneint, weil sich keine offiziellen Absprachen nachweisen ließen.

Als «Gestalter der Einheit» sieht Guntau sich nicht direkt. Dieser Ehrentitel komme in erster Linie den Ministerialbeamten in Bonn zu. Doch als «Mitgestalter» schon. «Es war eine vibrierende Zeit, und ich bin froh, dass ich ein Stückchen daran mitwirken konnte.»

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