Di, 23.12.2014«Himmlische Treffs» hinter Gittern - Alltag beim Gefängnispastor in Hahnöfersand

Von Timo Teggatz (epd)  

Wenn Gefängnispastor Wolfgang Speck in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand einen evangelischen Gottesdienst feiern würde, käme wohl kaum ein Häftling. Seine «Himmlischen Treffs» für alle Religionen hingegen sind gut besucht.

Jork/Hamburg (epd). Wenn Pastor Wolfgang Speck eine Andacht feiert, ist weit und breit keine Kirche in Sicht. Der Hamburger predigt hinter Stacheldraht und Gitterstäben - im Gefängnis. Seit vier Jahren arbeitet der 61-Jährige als Pastor in der Justizvollzugsanstalt Hahnöfersand. In dem hamburgischen Gefängnis auf einer niedersächsischen Elbinsel bei Jork vor den Toren der Hansestadt verbüßen junge Männer zwischen 14 und 23 ihre Strafe. An der Liste ihrer Delikte lässt sich nicht erkennen, wie jung sie sind: Einbruch, Raub oder Totschlag.

«Es ist eine herausfordernde Arbeit», sagt der Theologe, der sich wie alle Gefängnispastoren auf die Pfeiler Seelsorge und Gottesdienst stützt. Doch bei Speck gibt es eine entscheidende Ausnahme: Mit evangelischen Gottesdiensten kommt er auf Hahnöfersand nicht weit, denn etwa 70 Prozent der 115 Häftlinge sind Muslime. «Getaufte Christen sind die absolute Ausnahme.»

Also kam der Pastor auf die Idee, den «Himmlischen Treff» einzuführen: Regelmäßig versammelt er die Insassen in ihren Wohngruppen zu Gesprächsrunden. Dann wird eine Stunde lang diskutiert über ein Thema, das Speck festlegt. Über Drogen haben sie schon debattiert und über das «Männerbild Macho». Aber auch aktuelle Themen stehen auf der Liste, etwa die Flüchtlingsproblematik oder der Terror des IS.

Viel Wert legt der Theologe auf den liturgischen Beginn des «Himmlischen Treffs». Erst singt Speck «Du Gott des Friedens» - auf Arabisch und auf Deutsch. Außerdem zitiert er eine Stelle aus der Bibel. Eine inhaltlich ähnliche Sure trägt dann ein Häftling aus dem Koran vor, bevor Speck sie auf Deutsch vorliest. Ständig muss in viele Sprachen übersetzt werden, sowohl von den Häftlingen als auch vom Pastor, der Englisch, Spanisch und Französisch spricht. Mit den «Himmlischen Treffs» trifft Speck offenbar den Nerv der Insassen. Über 90 Prozent nähmen regelmäßig teil - und das freiwillig. «Das zeigt, dass sie durchaus religiös interessiert sind.»

Neben den Diskussionen in der Gruppe führt Seelsorger Speck viele Einzelgespräche. Manche würden ihn gleich beim ersten Treffen fragen, ob sie wegen ihrer Taten in die Hölle kommen. Dann nimmt Speck ihnen zunächst die alt hergebrachte Vorstellung vom Fegefeuer und macht deutlich, dass das Verhalten zu Lebzeiten durchaus Einfluss auf das Leben vor und nach dem Tod hat. «Noch nie habe ich so intensive, erfüllende Seelsorge-Gespräche geführt.» In den Gesprächen mit den Häftlingen habe er gelernt: «Jeder Mensch hat einen göttlichen Kern.»

Speck kann auf eine lange theologische Laufbahn zurückblicken. Sieben Jahre war er Gemeindepastor in Hamburg-Bramfeld, sechs Jahre Pfarrer in La Paz in Bolivien, elf Jahre arbeitete er in der Militärseelsorge. Mit einem Teil seiner Stelle ist er zudem im offenen Vollzug im Gefängnis Glasmoor in Norderstedt tätig.

Auch wenn die Mehrheit Muslime sind: Weihnachten ist auch für die Gefangenen eine besondere Zeit. Pastor Speck geht Heiligabend ins Gefängnis und hält für jede Wohngruppe mit ihren 15 Insassen eine Andacht. Im Gepäck hat er dabei für jeden Gefangenen ein kleines Geschenk.

Schwingt beim täglichen Umgang mit Gewalttätern auch Angst vor Übergriffen mit? Nein, sagt Speck entschieden. Zu groß sei die Ehrfurcht der Häftlinge vor der Religion. Er werde als väterliches Gegenüber gesehen. «In vier Jahren ist mir nur zweimal eine Cappuccino-Dose geklaut worden.» Und die hätten die Täter später zurückgegeben. Doch unterschätzen dürfe man die Gefahr im Knast nicht, warnt Speck. Zu kämpfen hätten damit vor allem die Angestellten des Gefängnisses, für die der Geistliche ebenfalls zuständig ist. Sie müssten Beschimpfungen ertragen und sich manchmal auch gegen Übergriffe wehren.

Zurückhaltend reagiert Speck, wenn er gefragt wird, ob er die Häftlinge auf den richtigen Weg bringen kann. «Da bin ich sehr bescheiden», gibt er zu. Wenn sie entlassen werden, kehren die Häftlinge meistens in ihren alten Stadtteil zurück - und haben dort wieder mit ihren alten Problemen zu kämpfen. Deshalb wünscht sich Speck mehr Hilfe für Ex-Häftlinge, etwa bei der Suche nach einem Job oder beim Abschluss der Schule.


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