Do, 26.01.2012Enttäuschte Sehnsucht - Die Krise um Bundespräsident Wulff ist auch eine Krise um Vorbilder

Die Affäre um Bundespräsident Wulff hat die Pädagogen aufgeschreckt. Sie diskutieren darüber, was die Krise in der Erziehung, die von Vorbildern lebt, bedeuten kann. Oder sind wir alle in der Rolle des Vorbildes überfordert?

Bremen/Frankfurt (epd). Längst ist die Krise um Bundespräsident Christian Wulff in der Pädagogik angekommen. In Talkshows, in Zeitungsbeiträgen und Internetforen diskutieren Fachleute und Bürger über Vorbilder. Heilige seien gar nicht gefragt, sagt etwa die Bremer Vorschulexpertin und Politikberaterin Ilse Wehrmann: «Wenn es um Vorbilder für Kinder geht, kommt es darauf an, aufrichtig und verlässlich zu sein, transparent darzulegen, warum ich so entscheide und nicht anders.» Für sie und auch für andere Experten ist klar:
Fehler machen, ist erlaubt.

«Politiker sind Menschen. Und Menschen machen Fehler - politische und persönliche», sagt der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel zum Vorbild Wulff in der Süddeutschen Zeitung (Mittwochsausgabe). Politiker seien «weder Lehrmeister noch Säulenheilige. Sie sollen den Querschnitt der Bevölkerung abbilden».

Reicht der Querschnitt? Reicht es, wenn beispielsweise Eltern das vorleben, was die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) am Sonntag in der Talkshow von Günther Jauch kritisierte: «Das Ethische ist aus unserer Gesellschaft ganz erheblich verdrängt worden. Wir haben uns daran gewöhnt, wo kann ich noch was mitnehmen, wo kriege ich Vorteile.»

Wehrmann ist wichtig, wie mit Fehlern umgegangen wird. «Fehler zugeben, ganz offen», rät die ehemalige Vorsitzende der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder den Eltern. Das untergrabe die moralische Autorität nicht, im Gegenteil. Fehler zugeben und sich nicht verstecken, darin ist sie sich einig mit Gabriel. Der fand den Rücktritt der ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Margot Käßmann, nach einer Alkoholfahrt mit dem Auto beeindruckend: «Ich vermute, dass Politiker länger nach Gründen gesucht hätten, um im Amt zu bleiben.»

Es mag auch ein Zeichen für enttäuschte Sehnsüchte sein, dass an oberster Stelle gar nicht die Politprominenz eine Vorbildfunktion einnimmt. Gefragter als Glamour, wirtschaftlicher Erfolg oder Popularität ist jemand, der zuallererst Zuneigung und Verlässlichkeit verkörpert, nämlich Mama, wie der «Stern» vor Jahren in einer Umfrage ermittelte. Auf dem zweiten Platz landete Mutter Theresa - gefolgt von Papa. Erst dann kamen Namen wie Albert Schweitzer, Martin Luther King, Michail Gorbatschow und Nelson Mandela, Ikonen des Friedens, die gegen Gewalt eintreten.

Das Vorbild im Kleinen, in der Familie als Keimzelle des Staates, das ist auch für den Bonner Pädagogen Hans Biegert zentral. Wenn aus Kindern kritische und selbstkritische, selbstständige und reife Erwachsene werden sollten, komme es nicht nur auf Wissensvermittlung an, «sondern in exakt gleichgewichtiger Weise auch auf uns selbst, auf unsere Haltung und unser Verhalten». Ilse Wehrmann spricht in diesem Zusammenhang vor allem von Glaubwürdigkeit, von Bodenhaftung und Wahrhaftigkeit.

Große Worte? Wahrhaftigkeit bedeute, «dass jemand so lebt, wie er spricht», erläutert der hannoversche Sozialphilosoph Detlef Horster und kritisiert den Bundespräsidenten. «Das klafft bei Wulff auseinander.» Sein Amt sei besonders für die Jugend ein wichtiges Vorbild, ist der emeritierte Professor und Ethik-Experte überzeugt. «Junge Menschen werden in die Gesellschaft eingeführt und brauchen Orientierung.» Das gehe nur über Vorbilder.

Und dies gilt wohl auch für den Umgang miteinander, für die Manieren, die wir an den Tag legen. «Manieren leben von Vorbildern», bekräftigt der Frankfurter Bestseller-Autor Prinz Asfa-Wossen Asserate, der sich aber keinesfalls zu Wulff äußern will. Aber beim Thema Benehmen, da schlägt sein Herz. Er kennt Politiker und natürlich einfache Menschen, die Vorbilder sind, «weil sie ihre Arbeit machen, Tabus kennen und denen es nicht nur um das eigene Ich geht, sondern auch um den Nächsten».

Der Benimm-Experte, Unternehmensberater und Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassie sieht sich selbst «als den sündigsten Sünder». Für ihn ist der Weg das Ziel. Er selber sei nicht das Vorbild: «Das Vorbild sind die Werte - da will ich hin.»

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