Mo, 07.09.2009«Ein Tag im Altenheim» - Niedersachsens Bundestagskandidaten hospitieren auf Anregung der Diakonie in Pflegeeinrichtungen

Osterode (epd). Während aus der Musikanlage das Volkslied 'Sah ein Knab ein Röslein stehn' klingt, versucht der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans Georg Faust, mit seiner Tischnachbarin in Kontakt zu kommen. Er rollt der demenzkranken Bewohnerin des «Altenheims Siebenbürgen» in Osterode einen knallroten Ball entgegen, den die alte Dame nur mit Mühe auffängt. «Die Übung gehört zum Motorik-Training,» erläutert Therapeutin Marita Markgräfe. Der Mediziner Faust hospitiert wie 45 andere Politiker in Niedersachsen bei der landesweiten Diakonie-Kampagne «Ich mach mich stark für die Pflege» in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen zwischen Hann.-Münden und Cuxhaven.

«Die ersten vier Wochen waren schon sehr erfolgreich,» bilanziert Diakonie-Mitarbeiter Willi Schönamsgruber. Die fünf evangelischen Kirchen in Niedersachsen und ihre Diakonie haben die Kampagne zur Bundestagswahl auf die Beine gestellt. Sie läuft bis zum Wahlabend am 27. September. Kernstück der Aktion ist die Lobbyarbeit für die Altenpflege. Die Zahl der Politiker, die mitmachen wollen, hat sich inzwischen mehr als verdoppelt. «Teilweise klopfen die Kandidaten direkt bei uns an, um Termine zu bekommen», sagt Schönamsgruber. Es gebe aber auch Abgeordnete, die sich trotz persönlicher Ansprache nicht zu einem Schnupperpraktikum animieren ließen.

«Wir wünschen uns ein stärkeres Agieren der Politiker», sagt der Diakonie-Direktor der hannoverschen Landeskirche, Christoph Künkel. Niedersachsen sei bei den Pflegesätzen Schlusslicht unter den westdeutschen Bundesländern. Während in Niedersachsen die Pflegstufe drei von den Kassen mit täglich 63 Euro vergütet werde, bekämen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen für die gleiche Arbeit 76 Euro. Nötig seien außerdem ein Mindestlohn für die Mitarbeiter von 10,50 Euro pro Stunde, weniger Bürokratie und mehr Zeit für die Menschen, fordert Künkel.

Für das Thema Bürokratie interessiert sich auch Faust bei seinem Besuch. Als Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsgesundheitsausschusses sind ihm die Vorschriften gut bekannt. Im Büro der Wohngruppe «Sonnenblumenweg» gibt ihm Pflegedienstleiterin Doris Ebeling einen tieferen Einblick in die Dokumentationspflichten. «Von 100 Minuten Zeit, die wir für einen Patienten zur Pflege haben, verbringen wir durchschnittlich rund 80 Minuten mit Dokumentieren,» sagt sie. Teils im Computer, teils handschriftlich werde notiert, wie es den Bewohnern geht und welche Pflege sie erhalten haben.

Das genaue Notieren und Kontrollieren der Leistungen gehört für Faust zu einer guten Pflege dazu: «Auch um schwarze Schafe unter den Altenheimen, die ihre Bewohner schlecht pflegen, ausfindig zu machen.» Nur wenn es unnötig sei, habe er kein Verständnis. Für Ebeling ist das zum Beispiel das doppelte Dokumentieren auf Zetteln und im Computer.

Auch die 66-jährige Bewohnerin Brigitte Röhrs ist sauer über zu viel Bürokratie. Die Mitarbeiter sind nach ihrer Beobachtung exzellent ausgebildet und arbeiten engagiert bis an ihre Grenzen:
«Und nach Feierabend sitzen sie dann am Computer.» Ebeling pflichtet ihr bei: «Das tun sie oft sogar unentgeltlich, es ist frustrierend.» Sie wünscht sich, dass Faust seine Erkenntnisse aus Osterode auch in seine Politik einfließen lässt. Er sei schon mehrfach im Heim zu Gast gewesen und kenne die Verhältnisse in der Einrichtung gut, sagt die Pflegedienstleiterin. «Das macht mir Hoffnung.»

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