Do, 23.02.2012Der Sprung aus dem Hamsterrad - «Downshifter» schalten in der Karriere freiwillig den Rückwärtsgang ein

Die Karriereleiter sollte möglichst immer aufwärts gehen. Manche Menschen entscheiden sich aber bewusst dafür, eine Stufe hinabzutreten. Sie tauschen Erfolg im Job gegen mehr Lebensqualität. "Downshifting" nennt sich dieser Trend aus England.

Peine/Hannover (epd). Werner Müller (Name geändert) hat den Kurs in seinem Leben geändert. Der Bergbauingenieur aus dem niedersächsischen Peine wagte vor fast vier Jahren einen Schritt, den manche kritisch beäugen. Um mehr Zeit für seine Tochter zu haben, ging er die Karriereleiter abwärts. Freiwillig wechselte der stellvertretende Betriebsführer auf die Stelle eines Sachbearbeiters. Von «downshifting - runterschalten» sprechen Fachleute.

In Großbritannien sei das eine echte Bewegung, sagt Wiebke Sponagel, Business-Coach aus Frankfurt am Main. «Schon heute hat auch jeder dritte Deutsche darüber nachgedacht, einen anderen Job anzunehmen, der weniger Geld, aber mehr Lebensqualität bietet.» Sponagel berät Menschen, die aus dem Hamsterrad Karriere aussteigen und sich eigene Ziele setzen wollen.

«Die Wege sind dabei ganz individuell», unterstreicht die 51-Jährige. Manche versuchten, von Überstunden runterzukommen. Andere wechselten auf eine schlechter bezahlte Stelle. Wieder andere gingen von einem zeitfressenden Job in die Selbstständigkeit. Das nehme nicht unbedingt weniger Zeit in Anspruch, fülle sie aber aus. «Die Kernfrage lautet: Was ist wichtig in meinem Leben?»

Für Arnd Brummer ist ein Runterschalten schon im Kleinen möglich.
«Ich kann zum Beispiel überlegen, ob ich rund um die Uhr erreichbar sein will und am Wochenende berufliche Mails abrufen muss», sagt der Geschäftsführer der Fastenaktion der evangelischen Kirche «7 Wochen Ohne». Die noch bis zum 8. April laufende Aktion steht unter dem Motto «Gut genug! Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz». Es sei gut, wenn jemand sich stark engagiere und seine Begabungen einbringe, betont Brummer. Die Aktion rege aber an, sich selbst und andere dabei nicht aus dem Blick zu verlieren.

Wer einen Sinn in etwas sehe, gebe dafür gerne seine Zeit, sagt der Zeitforscher Jürgen P. Rinderspacher von der Universität Münster. Doch die Fremdbestimmung drohe zuzunehmen. «Jobs haben sich verdichtet. Durch Stellenkürzungen wird die gleiche Arbeit auf weniger Schultern verteilt.» Der «lange Arm des Jobs» reiche bis in die Freizeit, wenn Menschen nach Dienstschluss «einfach nur abhängen können».

Die Arbeit am Wochenende habe zugenommen und immer mehr Flexibilität sei gefordert, ergänzt der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler aus Hannover. Das treffe vor allem diejenigen, die sich ein Kürzertreten im Job finanziell kaum leisten könnten - Zeitarbeiter und Pflegekräfte. In der «Rushhour» des Lebens mit 20 bis 30 Jahren wiederum wollten die meisten viel erreichen und sähen keine Chance, vom Gas zu gehen. Nach Zahlen des Statistischen Bundsamtes gab 2009 jeder zehnte Erwerbstätige an, mehr als 48 Stunden in der Woche zu arbeiten.

Werner Müller kennt den Druck. Heute würden Ingenieure oft nur mit Zeitverträgen angestellt, sagt er. Nicht jede Firma verzeihe den Schritt, den er gegangen ist: «Wäre ich nicht im Betriebsrat gewesen und gut vernetzt, wäre es schwierig geworden.» Bevor sich im eigenen Betrieb eine Alternative bot, hatte er seine Fühler nach anderen Arbeitgebern ausgestreckt. Er ist froh, nicht gewechselt zu haben. In der Branche gab es Entlassungen. Er wäre wohl inzwischen arbeitslos, vermutet Müller.

2010 schieden Untersuchungen zufolge bundesweit 70.000 Arbeitnehmer wegen einer seelischen Erkrankung frühzeitig aus dem Beruf aus. Die Belastung am Arbeitsplatz gerät gesellschaftlich immer mehr in den Blick. Nach Beobachtung der Beraterin Wiebke Sponagel wächst dadurch das Verständnis für Menschen, die nach neuen Wegen suchen. «Früher hätte man gesagt, er kann im Hamsterrad nicht mitrennen. Heute sagt man, das Rad läuft zu schnell.» Doch sie betont auch: «Beim Runterschalten geht es keineswegs um eine Kur für Stressgeschädigte.»

Ausgebrannte, die bereits an Grenzen gelangt seien, berate sie nicht. Sie benötigten therapeutische Hilfe und hätten nicht die Kraft dazu, sich neu zu orientieren, erläutert Sponagel. «Downshifter» verließen die Komfortzone vertrauter Bahnen mit manchmal ungewissem Ausgang. «Karriereberater sagen, suchen Sie sich ein Ziel. Ich sage, nehmen Sie einen Umweg. Dazu braucht es Mut und eine gute Portion Selbsterkenntnis.» Es müsse zudem geklärt werden, ob Freunde und Familie mitmachten. «Wenn ein Mann entscheidet, runterzuschalten, hängt die ganze Familie daran. Viele harren deshalb aus in einem Job, der sie auslaugt.»

Werner Müller hat heute netto monatlich 600 Euro weniger. Die Schreibtischarbeit als Sachbearbeiter füllt ihn weniger aus als die verantwortliche Tätigkeit im Bergwerk. «Das war mein Traumjob eigentlich», sagt er. Doch er bezieht seine Zufriedenheit nicht mehr nur aus seiner Arbeit. Vor dem Wechsel hatte er immer das Gefühl, zu wenig für seine damals fünfjährige Tochter da zu sein. Jetzt hat er einen Freundeskreis und ein ausgefülltes Privatleben. Der 54-Jährige ist überzeugt: «Der Schritt war richtig.»

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