Di, 10.09.2013Datendiebstahl ist schmerzfrei - Gesellschaftlicher Sturm der Entrüstung bleibt aus

Täglich gibt es neue Enthüllungen über die Datensammelwut der Geheimdienste. Die Daten werden vernetzt und analysiert. Die Persönlichkeitsrechte werden ignoriert. Doch der Datendiebstahl ist nicht spürbar, nichts fehlt auf dem privaten Computer.

Oldenburg/Köln (epd). Der Internet-Experte Sascha Lobo schimpft in seinem Blog: «Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt. Aber nicht auf unseren Laptops.» Täglich werden neue Details bekannt, wie ausländische Geheimdienste die persönlichen Daten, E-Mails, Telefonate und das Verhalten der Bürger im Internet ausspionieren. Der Datenschutzbeauftragte des Deutschen Bundestages, Peter Schaar, kritisiert den Verfassungsschutz wegen seiner Untätigkeit.

Doch die Empörung in der Gesellschaft bleibt verhalten. Datensicherheitsfirmen verzeichnen keinen Ansturm auf sichere Computer oder Server, berichtet Felix Kronlage. Der Informatiker entwickelt in Oldenburg mit seiner Firma «bytemine» Verschlüsselungs- und Sicherheitssysteme.

Nach Ansicht des Medien-Psychologen und Direktors des «Deutschen Digital-Instituts» in Berlin, Jo Groebel, liegt das an der fehlenden spürbaren Konsequenz. «Es passiert einem selbst ja zunächst nichts. Es steht ja nicht morgen die CIA bei Ihnen vor der Tür.» Er nennt diese Gleichgültigkeit «Digitalfatalismus». Zu komplex und unvorstellbar sei diese Welt.

Und doch setze die Schere bereits im Kopf an: «Es ist doch ein Knaller, dass ich vor diesem Telefoninterview kurz überlegt habe, ob es klug ist, die Abkürzung NSA zu benutzen.» Der US-Geheimdienst NSA hat die Aufgabe, ausländische Telekommunikations- und Datenströme zu überwachen, zu speichern und zu analysieren.

Dieses Phänomen hat auch die Internet-Aktivistin Anna Roth beobachtet. Als Google begann, für das Programm Google-Earth deutsche Häuser zu fotografieren, war die Empörung groß, sagt sie. Doch bei der totalen Überwachung bleibe der Aufschrei aus: «Die Bilder der Häuser im Netz können wir sehen. Den Effekt der Auswertung von Meta-Daten können wir nicht sehen. Was wir nicht sehen können, was wir uns nicht vorstellen können, macht auch nicht so viel Angst.»

Der Wissenschaftsjournalist und Physiker Ranga Yogeshwar kritisiert die deutschen Politiker: Seiner Ansicht nach missachten sie den Abhör-Skandal. Er fordert scharfe Konsequenzen: «Wäre ich Bundeskanzler, hätte ich Facebook und Google abgeschaltet. Ich hätte ein Notstandsgesetz für diese Art Bedrohung in der Verfassung formuliert.»

Auf seiner eigenen Facebook-Seite hat der bei Köln lebende Yogeshwar seine mehr als 21.000 «Freunde» gefragt, ob sie für ein Abschalten von Facebook sind - jedenfalls solange, bis garantiert wird, dass die Daten der Nutzer nicht an Geheimdienste weitergeben werden. «Das Ergebnis hat mich erstaunt. Die überwältigende Mehrheit sagt ja.»

Der Staat sei kein Garant für die Demokratie und den sicheren Umgang mit persönlichen Daten: «Wir müssen uns daran erinnern, dass ein Staat auch entgleiten kann», mahnt Yogeshwar. Das sei zwar für viele nicht mehr vorstellbar, doch die vergangenen 100 Jahre der deutschen Geschichte bewiesen diese Möglichkeit. Von der Politik erwarte er scharfe Prioritäten mit weiser Vorausschau. «Aber genau das tut sie nicht.» Die Politiker richteten sich inzwischen nach den gleichen Kategorien wie der Kommerz. «Sie verhalten sich nach Mehrheiten, so wie der Kommerz nach Marktanteilen guckt.»

Wann immer Menschen sich im Internet bewegen, sie mit einer Karte bezahlen, telefonieren oder sonst wie elektronisch erfasst werden, hinterlassen sie digitale Spuren. Mit den neuen Möglichkeiten des «Big-Data» können alle diese Informationen automatisch miteinander verknüpft und analysiert werden. «Dabei geht es den Datensammlern um die Vorhersehbarkeit des Verhaltens», erläutert Yogeshwar. Es sei mathematisch berechenbar, ob ein Mensch kriminell werde oder krank oder ob er beabsichtigt, demnächst einen Fernseher zu kaufen, sagt der Physiker.

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