Mo, 29.11.2010Bundespräsident Wulff besucht deutsch-evangelische Schule im Westjordanland

Jerusalem/Hannover (epd). Die Antrittsreise von Bundespräsident Christian Wulff im Heiligen Land führt das deutsche Staatsoberhaupt auch zum Bildungszentrum Talitha Kumi in Beith Jalla im Westjordanland. Die evangelische Schule, in der Deutsch schon ab der zweiten Klasse als Pflichtfach unterrichtet wird, liegt unmittelbar hinter einem Straßenkontrollpunkt der israelischen Armee. Wulff, der zuvor die Geburtskirche in Bethlehem besucht, will am Dienstag mit den Schülern einer 10. Klasse zusammenkommen, dem ersten Jahrgang an der Schule, der in zwei Jahren das deutsche Abitur ablegen wird.

Neben politischen Gesprächen und einer Kranzniederlegung in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem steht auch eine Begegnung mit deutschen Kirchenvertretern auf dem Programm von Wulffs Besuch, der am Samstagabend begann. In der Dormitio-Abtei in der Jerusalemer Altstadt wollte der Bundespräsident am Sonntagnachmittag an einer ökumenischen Adventsmusik teilnehmen.

Die Talitha Kumi-Schule, die Johannes Rau während seiner Amtszeit als Bundespräsident sogar zwei Mal besucht hatte, liegt hinter einem Eisentor und wird rund um die Uhr bewacht. In Krisenzeiten ist gerade Talitha Kumi von der Gewalt von beiden Seiten stark betroffen. Die Lage im Grenzgebiet ist strategisch unglücklich, wenn Krieg ist. Umgekehrt ermöglicht diese Lage eine problemlose Anreise von Israelis, die die Schule aufsuchen, um gemeinsame Friedensprojekte voranzutreiben. Zahlreiche Kirchengemeinden in Niedersachsen unterhalten einen Partnerschaft mit der Schule.

Ob Christen oder Muslime, alle Schüler nehmen täglich an der Morgenandacht teil. Einmal in der Woche wird die Andacht von den Mädchen und Jungen selbst gestaltet. Talitha Kumi hat den Anspruch, christliche Werte zu vermitteln und den friedlichen Umgang miteinander zu praktizieren. Die Kinder lernen in regelmäßigen «Workshops» Konfliktlösung auf friedliche Art. Außerdem unterrichtet eine deutsche Diplompsychologin die Schüler in der Methode der Mediation, der Vermittlung zwischen Konfliktparteien.

«Die Schüler tragen an dem Tag, an dem sie als Mediatoren tätig sind, eine bordeauxfarbene Schuluniform, die sie von den anderen Schülern in der üblichen blauen Uniform unterscheidet», erläutert Verwaltungsleiter Bernhard Scheurenbrand. «Wenn zwei Schüler Probleme miteinander haben, wissen sie anhand der Farbe der Uniform sogleich, wo sie Hilfe finden können.»

Mitunter führe das «Leben hinter der Mauer» und die Tatsache, «dass man Jerusalem nur vom Dach aus sehen kann» zu Frustrationen, sagt Scheurenbrand, der seit März 2009 in Beith Jalla lebt. Denn die meisten der Schüler dürfen die Grenzkontrollpunkte Richtung Israel nicht passieren.

Knapp tausend junge Palästinenser besuchen die vom Berliner Missionswerk finanzierte Schule vom Kindergartenalter bis zum Abitur. 24 Mädchen leben im Internat auf dem Schulgelände, daneben gibt es seit ein paar Jahren eine kleine Schule für Hotelfachwesen, «um den jungen Palästinensern eine Ausbildung anzubieten, in dem sie vermutlich eher eine Anstellung finden», sagt Scheurenbrand.

Die Anfänge von Talitha Kumi reichen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als der Diakonie-Pionier Theodor Fliedner vier Diakonissen aus dem rheinischen Kaiserswerth nach Jerusalem brachte. Im Jahr 1851 begannen die Kaiserswerther Diakonissen mit der Waisenhausarbeit für arabische Mädchen. Der Name der Schule, die heute vom Berliner Missionswerk getragen wird, erinnert an eine in der Bibel bezeugte Wundergeschichte. Danach rief Jesus die tot darnieder liegende Tochter des Synagogenvorstehers Jairus mit den Worten «Talitha Kumi!» (Mädchen, stehe auf!) zurück ins Leben.

In den Anfangsjahren stand die Bildungsstätte nur Mädchen offen.
Bis heute wird die Gleichberechtigung der Geschlechter groß geschrieben, wobei sich die Zahl von Jungen und Mädchen inzwischen die Waage hält. Nur der Anteil der christlichen Schüler ist etwas größer als der der muslimischen. Seit zwei Jahren ist Talitha Kumi als deutsche und internationale Auslandsschule anerkannt. Die Schüler können seither wählen, ob sie das arabische oder das deutsche Abitur machen.

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