Aus den Kirchenkreisen

Sa, 06.04.2013Was ist uns der Boden wert?

Jever: Ausstellung „Landraub“ zeigt weltweite und regionale Konflikte der Agrarindustrie

VEN-Projektleiterin Katrin Beckedorf (von li. nach re.), Bischof Jan Janssen und Marie Halbach, Leiterin des Projekts „Zukunft einkaufen“, eröffneten die Ausstellung in der Stadtkirche zu Jever. Alle Fotos: Anke Brockmeyer

Engagieren sich für die Ausstellung: Gerd Abeldt, Chefredakteur der Wilhelmshavener Zeitung; Bischof Jan Janssen; Marie Halbach, Projektleiterin „Zukunft einkaufen“; VEN-Projektleiterin Katrin Beckedorf; Landvolk-Vorsitzender Jürgen Seeger; Regionaljugendrefernt Olaf Nack; Petra Meyer-Machtemess vom Diakonischen Werk; Pastor Gerd Pöppelmeier, Sande; und Klaus Huger, Kirchengemeinde Neuenburg.

Wie hängen Landverknappung regional und global zusammen? Darüber diskutierten Jürgen Seeger, Vorsitzender des Kreisverbandes Landvolk Oldenburg (li.), und VEN-Projektleiterin Katrin Beckedorf (re.); moderiert wurde die Diskussion von WZ-Chefredakteur Gerd Abeldt.

Was ist uns der Boden wert?
Jever: Ausstellung „Landraub“ zeigt weltweite und regionale Konflikte der Agrarindustrie

„Das Grundverständnis von Land als Leihgabe Gottes muss unserem Handeln Boden geben“, mahnte der Oldenburger Bischof Jan Janssen in seiner Andacht zur Eröffnung der Ausstellung „Landraub! Profit. Macht. Hunger.“ in der Stadtkirche zu Jever. Sowohl Landverknappung durch den Aufkauf riesiger Flächen von ausländischen Investoren im globalen Süden als auch Flächenversiegelung und „Vermaisung“ in Niedersachsen sind Thema der Ausstellung, die vom Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen (VEN) konzipiert worden ist.

Auf Initiative des Projekts „Zukunft einkaufen“ im Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven, der Ortsgruppe von Brot für die Welt und der Evangelischen Jugend Oldenburg wurde die Ausstellung nach Jever geholt. Denn in einem globalen Wirtschaftsmarkt, so Katrin Beckedorf, Projektleiterin des VEN, in der Podiumsdiskussion am Eröffnungsabend, habe das Verhalten jedes Einzelnen weltweite Auswirkungen. Beispiel Fleischkonsum: 90 Kilogramm Fleisch isst jede Bundesbürger / jeder Bundesbürger im Durchschnitt pro Jahr – fast doppelt so viel wie vor hundert Jahren. Fleisch ist preisgünstig geworden – auch dank der Möglichkeit, Soja als eiweißreiches Futtermittel aus anderen Ländern günstig einzukaufen.

Genau hier setzt Beckedorf an. „Mit dem Aufkauf von Soja aus Lateinamerika zur Fütterung unserer Tiere sind wir mitverantwortlich für die Vertreibung von Kleinbauern vor Ort.“ Finanzkräftige ausländische Investoren kauften Land von den Regierungen. Die Kleinbauern, die bisher dort gewirtschaftet hätten, würden nicht selten brutal von den Flächen vertrieben – ohne neue Perspektive, schilderte sie. Nur dadurch seien die Fleischpreise so niedrig, dass jeder Verbraucher in Deutschland täglich Fleisch essen könne. Der Anbau eiweißhaltiger Futtermittel in Deutschland – etwa Erbsen – sei ungleich teurer, gab Jürgen Seeger ihr Recht. Der Vorsitzende des Kreisverbandes Landvolk Oldenburg war ihr Gesprächspartner in der Podiumsdiskussion, die Gerd Abeldt, Chefredakteur der Wilhelmshavener Zeitung, moderierte. In der Folge müsse Fleisch in Deutschland teurer werden, so Seeger weiter, doch das lasse sich angesichts eines globalen Marktes nicht durchsetzen.

Das Konsumverhalten in Deutschland habe sich extrem verändert, machte der Landvolk-Vorsitzende deutlich. „Die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland können nicht vergrößert werden. In der Vergangenheit konnte das durch immer höhere Produktion aufgefangen werden. Aber irgendwo ist eine Grenze, und die ist jetzt erreicht.“ Die Folge: Die Preise für landwirtschaftliche Produkte steigen. Eine wichtige Ursache für die steigenden Preise sah Katrin Beckedorf dagegen darin, dass auf den Flächen vermehrt Pflanzen angebaut würden, aus denen Biogas hergestellt werde – sowohl in reichen Ländern wie Deutschland als auch in Entwicklungsländern.

Eine halbe Milliarde Kleinbauern ernähren ein Drittel der Weltbevölkerung und 80 Prozent der Bevölkerung in Entwicklungsländern, rechnet der VEN vor. „Das funktioniert nicht mehr, wenn die Flächen von Großinvestoren genutzt werden, um Pflanzen für Bioenergie anzubauen und teuer zu verkaufen“, betonte Katrin Beckedorf. „Die ärmeren Länder werden abhängig vom Weltmarkt und müssen Nahrungsmittel teuer einkaufen. Aber vielleicht ist das ja gewollt“, sagte sie provokativ.

Die ethische Diskussion „Teller oder Tank“ ist in Deutschland ein großes Thema. Auch unter Landwirten?, wollte Moderator Abeldt wissen. „Natürlich“, so Seeger. „Aber die Beimischung von Bioethanol in den Sprit ist eine politische Vorgabe. Und wenn damit Geld verdient werden kann, dann tun die Landwirte das auch. Dafür kann man sie nicht verurteilen.“ Die gesetzlich verordnete Beimischung ist für Katrin Beckedorf eine Garantie zum Geldverdienen für Großinvestoren. „Diese Regelung muss weg“, forderte sie und spannte wieder den Bogen zum Fleischkonsum: „Gerade diese systemischen Fragen bergen Sprengstoff. Die Fleischproduktion ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, den wir nur so halten können, weil wir Futtermittel importieren – auf Kosten anderer.“

Aber würden auf diesen Flächen ansonsten wirklich Nahrungsmittel angebaut, die der Bevölkerung vor Ort zur Verfügung stünden?, warf Abeldt ein. „Eine Milliarde Menschen hungern weltweit. Dabei würden die produzierten Kalorien rechnerisch längst für alle reichen“, betonte Seeger.

Was kann der Einzelne tun? Wie mächtig ist der Verbraucher? „Ist eine individuelle Perspektive sinnvoll und zielführend?“, wollte Abeldt wissen. „Der Ansatz, die Verbraucher einzubeziehen, ist wichtig“, meinte Beckedorf. Jede Kundin / jeder Kunde sollte kritisch hinterfragen, in welchem Fonds das eigene Geld bei der Bank angelegt werde, woher das Fleisch für das Mittagessen in der Kita und in der Kantine komme. „Das ist ein persönlicher, ein politischer und auch ein gesellschaftlicher Dialog“, betonte sie.

Und auch das Publikum, das in einer zweiten Runde in die Diskussion miteinbezogen wurde, bestätigte: Jeder Einzelne könne etwas tun. Regional einkaufen und damit die Umwelt entlasten, sei ein wichtiger Ansatz. „Es kann doch nicht sein, dass wir in Friesland im Supermarkt oft nicht mal mehr Milch von unseren eigenen Kühen kaufen können“, brachte es einer der Gäste auf den Punkt. „Wir alle müssen unsere Haltung ändern“, so das Plädoyer eines anderen. „Der Verbraucher isst weniger Fleisch, der Landwirt ist mit dem zufrieden, was der Boden natürlicherweise hergibt.“

Auch die Frage, wie Kirche mit eigenen Flächen umgehe, kam auf. Die Synode der oldenburgischen Kirche habe schon vor mehreren Jahren beschlossen, dass auf ihren Flächen kein genmanipuliertes Saatgut angebaut werden dürfe, erklärte Bischof Janssen. Doch auch hier gehe noch mehr, meinte einer der Teilnehmer und nannte das Beispiel einer Kirchengemeinde, die in ihrem Pachtvertrag für gemeindeeigene Flächen festschreiben lassen wolle, dass die Erträge nicht für die Biogaserzeugung verwendet werden dürften. Noch sei der Vertrag nicht rechtskräftig – er liege zur Entscheidung beim Oberkirchenrat.

Die Ausstellung „Landraub! Profit. Macht. Hunger.“ ist bis zum 26. April in der Stadtkirche zu Jever zu sehen.

Weitere Informationen und einen Film zum Thema der Ausstellung finden Sie unter: www.ven-nds.de/projekte/landraub/die-ausstellung.html Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.



Mitteilungen Filtern

Pressestelle

Kann die Pressestelle etwas für Sie tun? Hier finden Sie den Kontakt zu uns.