Mi, 01.06.2011Fremde Kultur hautnah erleben

Austausch der Norddeutschen Mission steht erstmals auch Lehrkräften offen

Sie hat mitreißenden Rhythmus im Blut. Wenn Elizabeth Agyei den Gospel „Kumbaya my Lord“ anstimmt, hält es die Schülerinnen und Schüler nicht mehr auf ihren Plätzen. Sie stehen im Kreis, singen mit, klatschen, wiegen die Hüften und lassen erahnen, wie ausgelassen und fröhlich es in einem Gottesdienst in Afrika zugeht. Vier Wochen lang nimmt die Ghanaerin Elizabeth Agyei an einem Austausch der Norddeutschen Mission teil, der es Kirchenvertretern aus den Partnerkirchen ermöglicht, den Alltag und das Gemeindeleben in Deutschland kennenzulernen. Im Gegenzug reisen jedes Jahr deutsche Pfarrerinnen und Pfarrer nach Ghana oder Togo. Erstmals ermöglicht die Norddeutsche Mission jetzt auch Lehrkräften die Teilnahme an dem länderübergreifenden Projekt.

Mit ihrem Rhythmus begeisterte Elizabeth Agyei die Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schulen (BBS) des Landkreises Oldenburg mit Sitz in Wildeshausen.

Geduldig stellte sich die Leiterin einer Grundschule im Norden Ghanas den zahlreichen Fragen der wissbegierigen Schülerinnen und Schüler.

Interkultureller Austausch (von li. nach re.): Schulpfarrerin Sabine Arnold, Elizabeth Agyei aus Ghana und BBS-Schulleiter Gerhard Albers.

Gemeinsam mit ihrer Gastgeberin, der Schulpfarrerin Sabine Arnold, prägt Elizabeth Agyei nun einen Monat lang den Religionsunterricht an den Berufsbildenden Schulen (BBS) des Landkreises Oldenburg mit Sitz in Wildeshausen, erzählt von ihrer Heimat und von ihren ersten Eindrücken in Deutschland und beantwortet geduldig Fragen. Die Gespräche laufen auf Englisch – eine Herausforderung, die von den Jugendlichen mit großem Engagement gemeistert wird. „Eine solche Begegnung ist eine tolle Chance für die Schüler“, betont BBS-Schulleiter Gerhard Albers. „Hier steht ein direktes Zusammentreffen von Menschen im Mittelpunkt. Das ist natürlich viel authentischer als theoretischer Unterricht.“ Im Vorfeld hatte Sabine Arnold die Christianisierung in Afrika mit ihren Schülerinnen und Schülern thematisiert, um sie vorzubereiten. Doch die Fragen der Jugendlichen gehen weit darüber hinaus. „Die Jugendlichen sind unglaublich interessiert", freut sich die Pfarrerin über die Lebendigkeit, die der Austausch in den Schulalltag bringt.

Ob Ghana ein armes Land sei, wollen die Schülerinnen und Schüler wissen. Bedächtig wiegt Elizabeth Agyei den Kopf. In der Stadt, erklärt sie, gebe es reiche und arme Menschen. Auf dem Land aber sei das Leben für alle noch sehr schwer. Doch sie lebe gern in ihrem Land. „In Deutschland haben die Leute nur ihre kleine Familie. Bei uns fühlt sich jeder für die ganze, große Familie zuständig, mit all den Onkeln, Tanten, Cousins und Cousinen. Und jeder von uns ist Teil der Gesellschaft. Wir trauern miteinander und freuen uns zusammen. Bei uns nimmt man sich viel Zeit für soziale Kontakte.“

In ihrer Heimat leitet Elizabeth Agyei eine Grundschule im Norden des Landes, in dem kleinen Ort Wora Wora, und ist aktives Mitglied der Evangelisch-Presbyterianische Kirche Ghana. Dort gestaltet sie als Kirchenälteste Gottesdienste mit und vertritt als Ratsmitglied der Vollversammlung die Interessen der Frauen in der Kirche. Mit einem Anteil von mehr als 60 bis 70 Prozent – je nach Quelle – stellen Christinnen und Christen die größte Glaubensgruppe in Ghana. Zwischen 20 bis 30 Prozent der Menschen gehören zum Islam und rund zehn Prozent zur Traditionellen afrikanischen Religion.

Seit 2001 ist die Evangelisch-Presbyterianische Kirche Ghana gleichberechtigtes Mitglied der Norddeutschen Mission, die sich neben der ghanaischen aus vier deutschen Kirchen – der Bremischen Evangelischen Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, der Evangelisch-reformierten Kirche und der Lippischen Landeskirche – sowie der die Evangelisch-Presbyterianische Kirche von Togo zusammensetzt. Außerdem bestehen 13 Übersee-Partnerschaften u. a. mit Kirchen aus den USA, Großbritannien und Korea. Die Norddeutsche Mission wurde 1836 in Hamburg gegründet. Zur Evangelisch-Presbyterianischen Kirche Ghana gehören rund 143.000 Mitglieder, ihr Hauptsitz befindet sich in Ho in der Volta-Region. 195 Pastorinnen und Pastoren sind für 750 Gemeinden zuständig; die Kirchensprachen sind mittlerweile auf Englisch, Ewe, Twi und Konkomba erweitert worden.

Und auch in Deutschland bringt sich Elizabeth Agyei in den Gemeindealltag aktiv ein: In den vergangenen Wochen hat sie einen Konfirmationsgottesdienst in Cloppenburg besucht und einen Gottesdienst zum Thema „Free water“ in Wildeshausen mitgestaltet. Geplant sind unter anderem auch die Teilnahmen am Konfirmandenunterricht und an einem ökumenischen Gesprächskreis. Die Tagung der Synode der oldenburgischen Kirche Mitte Mai in Rastede hat sich die engagierte Christin ebenfalls nicht entgehen lassen.

Die Gottesdienste in Deutschland allerdings rufen bei Elizabeth Agyei noch immer ungläubiges Staunen hervor. „Zeit ist Geld in Deutschland, das spürt man überall. Der Gottesdienst ist perfekt durchorganisiert. Wie schaffen die Menschen es, genau nach einer Stunde fertig zu sein?“ Wer in Ghana feiere, vergesse die Zeit, erzählt sie. „Bei uns dauern Gottesdienste schnell drei Stunden – mindestens!“, fügt sie schmunzelnd hinzu. Dann schildert sie den Gottesdienst in Ghana so anschaulich, dass man meint, die tanzende und singende Gemeinde, den Posaunenchor und den Pastor, der von seiner eigenen Predigt so begeistert ist, dass er gar nicht mehr aufhört zu reden, tatsächlich vor sich zu sehen.

Dem disziplinierten und organisierten Schulalltag in Deutschland allerdings zollt sie großen Respekt. „Lehrer und Schüler sind pünktlich und gut vorbereitet, es gibt hervorragende Arbeitsmaterialien. So wird das Lehren viel einfacher.“ In Ghana müsse man vieles improvisieren, ein PC-Arbeitsplatz für jeden Schüler sei praktisch undenkbar. „Wir erklären im Unterricht, wie ein Computer funktioniert und wofür man die Mouse braucht. Mehr können wir nicht tun“, berichtet sie. Und auch Klassengrößen von teilweise mehr als 50 Kindern mache das Unterrichten schwierig. Nicht nur die unterschiedlichen Lebenseinstellungen in beiden Ländern seien die Ursache, sondern auch die Armut: „In den Städten gibt es durchaus auch reiche Menschen. Auf dem Land aber ist das Leben noch sehr hart, die Leute sind arm.“

Im Herbst wird Sabine Arnold zum Gegenbesuch nach Ghana starten und die Eindrücke vor Ort auf sich wirken lassen. „Zunächst werde ich ganz viel zuhören, zuschauen, fragen. Ich habe großen Respekt davor, wie die Menschen in Ghana ihr Leben bewältigen und bin gespannt, was ich anschließend in der Schule und in der Gemeinde erzählen kann.“ Auf eines, verrät die Pfarrerin schmunzelnd, freue sie sich besonders: „Auf die Gottesdienste!“

Mehr Informationen finden Sie unter: www.norddeutschemission.de

Weitergehende Informationen zu Ghana: Ghana, an der Westküste Afrikas gelegen, hat knapp 25 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, die politische Lage gilt als stabil. Trotz seiner Bodenschätze, insbesondere Gold und Öl, lebt fast ein Drittel der Menschen unter der UN-Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Die Alphabetisierungsrate beträgt laut Auswärtigem Amt 57,9 Prozent, seit 2005 ist der Grundschulbesuch kostenlos. Die Qualität des Unterrichts jedoch leidet unter dem Finanzmangel der Institutionen und den niedrigen Gehältern der Lehrer. Weite Gebiete, insbesondere der weniger entwickelte Norden des Landes, sind von chronischem Lehrermangel betroffen. Offizielle Amtssprache der ehemaligen britischen Kolonie ist Englisch. In den zehn Regionen des Landes werden sechs Hauptsprachen gesprochen, hinzu kommen mehr als hundert Dialekte. Das macht die Kommunikation zum Teil schon mit Menschen aus dem Nachbardorf schwierig.

Ein Beitrag von Anke Brockmeyer.


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