Fr, 27.05.2011Zahlreiche Wachsleichen auf Deutschlands Friedhöfen

Hannover/Oldenburg (epd). Auf jedem dritten Friedhof in Deutschland können die Toten nach Ansicht des Friedhofsexperten Michael Albrecht aus Hannover nicht richtig verwesen. Schätzungen zufolge seien 30 bis 40 Prozent aller Grabstätten in Europa mit sogenannten Wachsleichen belastet, sagte der Agrar-Ingenieur am Donnerstag bei einer Tagung der oldenburgischen Kirche in Hannover. Fachleute aus ganz Deutschland und Norwegen hatten sich zu einem Erfahrungsaustausch getroffen.

Die Toten wirkten selbst nach 80 Jahren noch so, als seien sie erst vor wenigen Wochen beerdigt worden, sagte Albrecht. Normalerweise würden die Körper nach dem Tod von körpereigenen Bakterien und Mikroorganismen zersetzt und abgebaut. Nach 20 bis 30 Jahren sollten der Sarg und die Leichen nahezu vollständig verschwunden sein. Dieser Zeitraum entspreche auch den gesetzlichen Ruhezeiten für ein Grab, bevor es neu belegt werden darf.

Grundvoraussetzung für die natürliche Zersetzung ist Albrecht zufolge der Austausch von Sauerstoff und CO2. In schlecht belüfteten Böden, etwa bei schweren Kleieböden oder einem zu hohen Grundwasserspiegel, finde dieser Prozess nur sehr verzögert oder gar nicht statt. Es bilde sich aus dem körpereigenen Fett ein Leichenlipid, das den ganzen Körper umhülle und die Konsistenz von Palmin habe. Das gehärtete Fett baue sich nur sehr schlecht ab und konserviere den Körper über viele Jahrzehnte.

Eine weitere Ursache für die schlechte Verwesung seien die besonders in den 1970er Jahren üblichen Plastikauskleidungen der Särge und Leichenhemden aus Kunstfasern, sagte Albrecht. Bei Regen oder regelmäßigen Gießen der Gräber fülle sich der Sarg nach und nach wie eine Wanne. Auch massive Abdeckungen in Form einer steinernen Grabplatte oder dicke Kieselschichten mit darunter liegenden Teichfolien oder Teerpappen verhinderten die Zersetzung.

Das Phänomen sei nicht neu und seit Jahrhunderten bekannt, betonte Albrecht. Allerdings sei in jüngster Zeit das Umweltbewusstsein gestiegen. Besonders für die Friedhofsgärtner, die die Gräber für eine Wiederbelegung ausheben müssen, seien die Wachsleichen eine unzumutbare psychische Belastung.

Bislang gebe es nur wenige Lösungen für das Problem, räumte Albrecht ein. Eine Möglichkeit seien Belüftungsrohre, die den Sarg für etwa 15 Jahre mit der Oberfläche verbinden. Denkbar sei auch, mit einer Lanze Brandkalk direkt in die Särge einzublasen. In Verbindung mit Wasser entstehe dabei eine große Hitze, die zumindest in der Theorie das Fett zum Schmelzen bringen könnte. Bundesweit werden jährlich rund 850.000 Menschen auf einem der 33.000 Friedhöfen bestattet.


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