Mi, 01.07.2009Historiker für Anerkennung von Rentenansprüchen von früheren Heimkindern - Große Resonanz auf historische Untersuchung der Heimerziehung in der Diakonie

Bielefeld/Bremen (epd). Die bundesweit erste wissenschaftliche Untersuchung über das Schicksal von Heimkindern in diakonischen Einrichtungen in den Anfangsjahren der Bundesrepublik stößt bei ehemaligen Heimkindern auf große Resonanz. Es gebe viele Rückmeldungen und Anfragen von den Opfern, sagte der Bielefelder Historiker und Mitautor des Buches, Hans-Walter Schmuhl, am Dienstag in Bielefeld. Dass dieses Thema öffentlich gemacht werde, bedeute ihnen sehr viel. Schmuhl sprach sich dafür aus, dass der Aufenthalt in den Heimen auf die Rentenansprüche angerechnet werde. Den Opfern gehe es weniger um Geld als um öffentliche Anerkennung, unterstrich er.

In den Einrichtungen habe ein sehr hartes Erziehungssystem geherrscht, das sich eng an das Militär angelehnt habe, erläuterte Schmuhl. Körperliche Züchtigungen wie Schlagen und Treten seien besonders in den 50er und 60er Jahren «gang und gäbe» gewesen. Neue Erkenntnisse der Untersuchung seien das «hohe Maß an Gewalt unter den Zöglingen» gewesen, berichtete der Wissenschaftler. Diese Übergriffe seien durch ein System von Kollektivstrafen begünstigt worden.

Das 370-seitige Buch «Endstation Freistatt» untersucht erstmals umfassend die Erziehungsmethoden in den Einrichtungen von 1890 bis 1970. Schwerpunkte sind die Heime «Freistatt» bei Bremen und Ummeln bei Bielefeld, die zu den von Bodelschwinghschen Anstalten Bethel gehören.

Der heutige Bethel-Vorstandsvorsitzende Ulrich Pohl entschuldigte sich bei den ehemaligen Heimkindern. Es stehe nun außerfrage, dass unter dem Namen Bethels junge Menschen unter den Bedingungen des Heimlebens gelitten hätten. «Dafür bitte ich im Namen Bethels in aller Form um Entschuldigung und von Herzen um Vergebung!», schreibt Pohl in der Einleitung. Zugleich betonte er, dass die damalige Art der Fürsorgerziehung nicht den Endpunkt, «sondern eine hinter uns liegende Phase der pädagogischen Arbeit Bethels» bilde. Auch Diakonie-Präsident Klaus-Dieter Kottnik hatte sich entschuldigt.

Mehrere hunderttausend Kinder und Jugendliche waren in der frühen Bundesrepublik oft aus nichtigen Anlässen in vorwiegend kirchliche Heime eingewiesen worden. Viele von ihnen wurden geschlagen und zur Arbeit gezwungen, zudem gab es sexuelle Misshandlungen. Eine Schulausbildung erhielten die Kinder häufig nicht.

Buchhinweis: Matthias Benad, Hans-Walter Schmuhl, Kerstin Stockhecke (Hg.): «Endstation Freistatt - Fürsorgeerziehung in den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel bis in die 1970er Jahre», Bethel-Verlag, ISBN 978-3-935972-27-7, 24,- Euro.

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